von Seth Riggs
Der Schlüssel für Speech Level Singing ist das Verstehen vom ‚MIX‘:
Wer im höheren/oberen Bereich seines Stimmumfanges singt, kommt schnell in Bereiche, in denen die Muskeltätigkeit und/oder die Resonanzaktivität es schwierig machen, weiche Übergänge zwischen den Stimmbandeinstellungen zu erreichen. Die meisten Sänger kennen diese Bereiche nur zu gut. Es gibt Stellen, an denen die Stimme sich verkrampft, ihre Qualität verändert oder sogar bricht – all dies kann so manchen davon abhalten, jemals das volle Potential seiner Stimme zu entdecken.
Wir jedoch nennen diese Bereiche Übergangsbereiche. Denn wenn man sich diesen Bereichen mit dem richtigen Ansatz nähert, werden sie zu Übergängen zwischen dem Punkt, an dem man sich in seinem Stimmumfang befindet, und dem Punkt, den man erreichen möchte.
Der erste Übergang ist der schwierigste. Er ist dort, wo die äußeren Muskeln wahrscheinlich mit dem Einstellungsprozess beginnen (wenn sie es nicht schon haben). Dabei ziehen und spannen sie sich an der Außenseite des Kehlkopfes und versuchen, die Stimmbänder so zu dehnen, dass die nötige Spannung für die gewünschte Tonhöhe oder Dynamik erreicht wird. Dieses Dehnen der Stimmbänder führt allerdings dazu, dass der gesamte Singmechanismus – Sound und Gesungener Text – blockiert wird. Glücklicherweise gibt es eine bessere und einfachere Möglichkeit, die Stimmbänder zu dehnen, um die nötige Spannung zu erzielen, ohne dabei den Ton- oder Wortbildungsprozess zu unterbrechen.
Die Lösung ist, weniger zu tun, um mehr zu erreichen. Genauer gesagt, je höher man singt, desto weniger Luft sollte man brauchen. Wenn man die Luftmenge, die man den Stimm-bändern zuführt, reduziert, gibt man den Muskeln im Kehlkopf die Möglichkeit, selbst die Stimmbänder zu dehnen. Die äußeren Muskeln mischen sich wahrscheinlich nicht ein, weil es nicht so viel Luft zum Halten gibt. Sie werden sich immer dann in den Schwingungsprozess einmischen, wenn man mehr Luft einatmet als die Menge, mit der die Stimmbänder und die anderen Muskeln im Kehlkopf umgehen können. Um laut zu singen, benötigt man nicht viel Luft.
Das Atmen beim Singen ist eine sehr entspannte Angelegenheit. Wenn wir sagen, dass man es regulieren kann, so meinen wir nur, dass man sich darauf einlassen darf, so dass das Einatmen und das Ausatmen auf eine Art und Weise erfolgen, die den eigenen Bedürfnissen beim Singen am besten entspricht. Man braucht sich also nicht zu bemühen, richtig zu atmen, es sei denn, man hat eine schlechte Körperhaltung oder neigt zu einer flachen Atmung und hebt dabei Brust und Schultern. Man braucht auch keine besonderen Übungen zu machen, um die Atemmuskeln zu kräftigen. Das Zwerchfell, die Rippen- und die Bauchmuskeln sind für die Bedürfnisse eines Sängers bereits kräftig genug.
Wenn man beim Singen eine gute Haltung aufrechterhält und darauf achtet, die Brust beim Ausatmen nicht einfallen zu lassen, ist der Bauch in der Lage, sich frei zu bewegen und wird von den Bauchmuskeln automatisch gesteuert. Es besteht keine Notwendigkeit, bewusst Spannung in diesen Muskeln zu erzeugen. Wenn man versucht, beim Singen die Brustmuskeln bewusst zu kontrollieren, führt die zusätzliche Spannung im Körper nur dazu, dass die Stimmbänder überspannt sind – und blockieren. Es ist nur sehr wenig Luft nötig, um einen guten Ton zu erzeugen.
Selbst für einen lauten Ton muss die benötigte Luftmenge nur gerade so groß sein, dass die Schwingung in den Stimmbändern unterstützt wird – nicht mehr und nicht weniger – so dass der Ton ohne Mühe und Anstrengung erzeugt wird. Genauso wie der Versuch, die Brustmuskeln zu kontrollieren, führt auch der Versuch, zu viel Luft einzuatmen, dazu, dass sich die Stimmbänder verkrampfen. Der Grund ist, dass beim Singen die Stimmbänder instinktiv die gesamte Luftmenge, die ihnen entgegengebracht wird, zurückhalten (oder zumindest versuchen, sie zurückzuhalten), und je mehr Luft ihnen entgegengebracht wird, desto mehr Spannung müssen die Stimmbänder aufbauen, um sie zurückzuhalten.
Bekanntlich hat man die richtige Unterstützung beim Atmen, wenn Luft und Muskeln sich im Gleichgewicht befinden. Dann gibt es ein gemeinsames und gleichzeitiges Zusammenspiel zwischen der richtigen Luftmenge und der richtigen Einstellung der Stimmbänder.
Ein Nebenprodukt der Resonanz ist das Erzeugen körperlicher Empfindungen beim Sänger. Tiefe Töne spürt man, als ob sie sich im Hals und im Mund befänden, und können manchmal sogar in der Brust verspürt werden – daher der Begriff Bruststimme. Je höher man singt, desto mehr spürt man (wenn man richtig singt), wie die Stimme den Hals und den Mund verlässt und immer weiter hinter das Gaumensegel geht, bis man schließlich das Gefühl hat, dass sie hinten aus dem Kopf herausgeht – daher der Begriff Kopfstimme. Die körperlichen Empfindungen beim Singen haben jedoch nichts damit zu tun, was der Zuhörer tatsächlich hört. Sie können allerdings dabei helfen, den richtigen und konsequenten Gebrauch der Stimme zu üben.
Die meisten Sänger strengen ihre Muskeln beim Singen übermäßig stark an. Muskeln, die der Körper normalerweise beim Kauen und Schlucken von Nahrung benutzt, und um den Mund weiter zu öffnen, wenn man schnell Sauerstoff in die Lungen pumpen will, werden benutzt, um den Kehlkopf zu manipulieren – ihn nach oben oder unten zu drücken. Damit soll eine schwierige Tonhöhe erreicht, die Tonintensität verstärkt oder die Tonqualität „verbessert“ werden. Wir nennen diese Muskeln äußere Muskeln, weil sie sich außerhalb des Kehlkopfes befinden. Jedes Mal, wenn man seine äußeren Muskeln irgendwie zur Kontrolle der eigenen Stimme einsetzt, verhindert man jedoch das freie Schwingen seiner Stimmbänder im Kehlkopf und verändert das Verhältnis (und den Gesamtzustand) der Resonanzräume oberhalb des Kehlkopfes. Das Ergebnis ist ein schwerer und unausgeglichener Klang.
Nur wenn der Kehlkopf sich in einer entspannten, stabilen Lage befindet, können die Stimmbänder sich leicht an den Atemluftstrom anpassen, um die Höhe und Intensität des Anfangstons zu erzeugen. Und nur wenn der Kehlkopf sich in einer entspannten, stabilen Lage befindet, wird der endgültige Klang ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen hohen, mittleren und tiefen harmonischen Eigenschaften aufweisen – wie eine gute Stereoanlage – so dass man bei tiefen Tönen nie dumpf und bei hohen Tönen nie prasselnd oder pressend klingt.
Es gibt sogar noch einen weiteren wichtigen Grund, weshalb der Kehlkopf von den äußeren Muskeln unbeeinflusst bleiben muss. Viele dieser Muskeln sind nämlich an der Bildung von Sprechlauten beteiligt, und ihr störender Einfluss auf den Tonbildungsprozess hat unvermeidbar auch eine Störung des Wortbildungsprozesses zur Folge. Es ist schwierig, Vokale und Konsonanten zu bilden, wenn die Muskeln, die zum Beispiel die Bewegung von Kiefer und Zunge kontrollieren, auch den Gesang kontrollieren wollen. Deshalb ist die Stimmerzeugung mit den Muskeln außerhalb des Kehlkopfes ein hoffnungs-loser Kampf, in dem sowohl der Klang als auch das Sprechen die Opfer sind.
Im Allgemeinen ist es so, dass die äußeren Muskeln beim ruhigen, bequemen Sprechen nicht mit dem Kehlkopf in Konflikt geraten, weil man nicht primär auf den Ton sondern auf die Kommunikation ausgerichtet ist. Deshalb darf der Kehlkopf in einer relativ stabilen Lage verbleiben, die wir Speech Level (Sprechlage) nennen. Dies ist die ideale Bedingung oder Haltung der Stimme für das Singen.
Wenn man lernt, in dieser bequemen Speech-Level-Haltung beim Singen seinen Ton anzusetzen und zu halten, kann man mit derselben leicht zu erzeugenden Stimme, mit der man spricht (oder sprechen sollte), auch singen. Nichts wird sich im Hals oder im Mund anders anfühlen. Sowohl der Ton als auch die Wörter werden sich natürlich anfühlen und natürlich klingen.
Doch bitte Vorsicht! Speech Level Singing bedeutet nicht „Singen wie man spricht!“
Niemand sollte sich von Anfang an Gedanken über den Aufbau einer kräftigen Stimme machen. Die Fähigkeit, die Lautstärke der Stimme zu erhöhen, kommt von selbst, nachdem sich die Zusammenarbeit der Stimmmuskeln gefestigt hat. Sobald die „Krücke“, nämlich dass die äußeren Muskeln dabei helfen, die Stimmbänder an den Atemluftstrom anzupassen, nicht mehr vorhanden ist, werden die Stimmbänder ihre eigene unabhängige Kraft entwickeln.
Nach und nach werden die Stimmbänder in der Lage sein, mehr und mehr Luft in dem Schwingungsprozess zurückzuhalten, und schließlich dafür sorgen, dass einem die gesamte dynamische Flexibilität zur Verfügung steht, die man benötigt. In der Zwischenzeit – oder jederzeit in diesem Prozess – sollte man mit einer klaren, durchgängigen und leicht zu erzeugenden Stimme in seiner gesamten Stimmlage nur so laut singen, wie man es kann, ohne sein Speech Level zu verlassen.
Seine Stimme zu trainieren bedeutet, wie man sich leicht denken kann, zu lernen, die Muskeln in seinem Kehlkopf so zu koordinieren und zu kräftigen, dass man in der Speech-Level-Haltung in einem großen Ton- und Dynamikbereich singen kann. Koordination und Stärke lassen sich am einfachsten durch spezielle Übungen entwickeln. Man kontrolliert seine Stimme nicht direkt damit, indem man an ihr arbeitet oder über Atemhilfe, Stimmband-anpassung oder Resonanz nachdenkt. Dies sind alles Nebenprodukte des Speech Level Singing. Sie geschehen automatisch, wenn man seinen Kehlkopf dazu bringt, sich nicht zu bewegen, wenn man seinen Stimmbändern erlaubt, sich für höhere Töne dünner zu machen und zu verkürzen, um sicherzustellen, dass die äußeren Muskeln entspannt bleiben.
Wenn man die Übungen des Trainingsprogramms nach diesem Abschnitt durchführt, wird man sich die körperlichen Empfindungen einprägen, die man in seiner Stimme verspürt, wenn man jede einzelne Übung richtig durchführt. Alles andere ergibt sich von selbst.
Die Koordinierung der eigenen Stimme auf dem Speech Level muss sich entwickelt haben, bevor man damit beginnen kann, seine Stimme zu kräftigen. Wenn man die Übungen macht, sollte man beachten, dass man nicht laut singen muss. Das ist nicht wichtig. Versucht man, zu früh zu laut zu singen (und atmet dabei zu viel Luft ein), werden die äußeren Muskeln nie ihre Zug- und Spannreflexe aufgeben. Geduld ist wichtig. Zunächst muss man jegliche äußere Muskelaktivität, die beim Singen stört, aufgeben. Das befreit die Stimme und macht es folglich leichter, einfach und deutlich Wörter zu erzeugen.
Das Nerven-Muskel-System des eigenen Körpers ist aber möglicherweise durch jahrelanges schlechtes oder falsches Singen darauf programmiert gewesen, jeden möglichen Muskel zur Kontrolle der Stimme einzusetzen. Also versucht es, jeder angestrebten Veränderung der Muskelkoordination standzuhalten. Eine Zeit lang verspürt man vielleicht Spannung in den Muskeln unter dem Kiefer, im Hals, im Gaumen und im Gaumensegel. Solche Spannungen entstehen, wenn beim Singen die „falschen“ Muskeln (die äußeren Muskeln) die Kontrolle nur widerwillig and die „richtigen“ Muskeln (die Kehlkopfmuskeln) abgeben.
Man sollte nie versuchen, diese Spannungen zu umgehen, indem man zum Beispiel die Position seiner Zunge oder seines Kiefer verändert, sein Gaumensegel hebt, mehr Raum in seinem Hals schafft oder die Aussprache der Wörter verändert. Dabei erzeugt man nur noch mehr Spannung. Sobald man erst einmal erfolgreich sein Nerven-Muskel-System so umprogrammiert hat, dass es die eigene Stimme auf Speech Level akzeptiert, werden diese Spannungen automatisch verschwinden. Dann ist man in der Lage, entspannt zu singen, wobei die Stimme so arbeitet, dass man darüber nicht nachdenken und nichts dafür tun muss.
Beim Sprechen benutzt man nur eine begrenzte Tonhöhe und einen begrenzten Dynamikbereich, so dass nicht viel Spannung in den Stimmbändern erforderlich ist, um diese Töne zu erzeugen. Damit man die häufig beim Singen gewünschten höheren Töne und größeren Dynamikbereiche erzielen kann, müssen die Stimmbänder jedoch fähig sein, ein höheres Spannungsniveau aufzubauen. Wenn man einen höheren Ton singen möchte, ist es die stärkere Spannung in den Stimmbändern, die die Stimmbänder jedes Mal, nachdem sie auseinander gegangen sind, schneller wieder zusammenbringt. Wenn man einen Ton lauter singen möchte, ist es auch die stärkere Spannung in den Stimmbändern, die es ihnen ermöglicht, dieses zusätzliche bisschen mehr Luftdruck zurückzuhalten, bevor sie schließlich auseinander gehen.
Wenn die Stimmbänder und die anderen Muskeln im Kehlkopf nicht in der Lage sind, die nötige Spannung selbst aufzubauen, kommt es dazu, dass die äußeren Muskeln ihre Hilfe anbieten. Diese Art von Hilfe ist jedoch nicht erwünscht! Jede Form von äußerer Muskel-beteiligung am Schwingungsprozess führt nur zu Stimmproblemen, indem sie vom Speech Level wegführt.
Das Schwingen der Stimmbänder bestimmt die Anfangsqualität eines Tons, die Resonanz bestimmt die Endqualität – diejenige, die eine Stimme von jeder anderen unterscheidbar macht. Dieser Unterschied ist im Wesentlichen auf die Einzigartigkeit der Größe und Form des Resonanzsystems jedes Menschen zurückzuführen.
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Copyright © für die deutsche Übersetztung Hajo B. Belton*
Vielen Dank an Seth Riggs, der mir diesen Text im Original in englisch hat zukommen lassen! Wenn Du Fragen zu den oben angesprochen Inhalten haste, schreibe oder rufe mich an. Ich beantworte Deine Fragen gerne.